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Wladimir Putin völlig irre: "Subversiver Akt!" Das droht, wenn das AKW Saporischja explodiert

Die Ängste vor einer nuklearen Katastrophe um das von Russland im Kriegsgebiet in der Ukraine besetzte Atomkraftwerk Saporischschja sind seit Monaten groß. Nun werfen sich die Konfliktparteien vor, die Lage dort gezielt eskalieren zu wollen. Wie groß ist die Gefahr?

Moskau und Kiew werfen sich gegenseitig vor, einen Anschlag auf das Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine vorzubereiten. (Foto) Suche
Moskau und Kiew werfen sich gegenseitig vor, einen Anschlag auf das Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine vorzubereiten. Bild: picture alliance/dpa/AP | Kateryna Klochko

Krasse Drohung aus Russland: Moskau wirft Kiew vor, einen Anschlag auf das besetzte Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine vorzubereiten. Kremlsprecher Dmitri Peskow warnte vor einem "subversiven Akt". Die Gefahr einer "Sabotage vonseiten des Kiewer Regimes ist groß". Der ukrainische Generalstab schrieb in seinem täglichen Lagebericht über angebliche Sprengkörper auf dem Dach des AKW. Wie groß ist die Gefahr, die von dem Kraftwerk ausgeht?

Irre Russen-Drohung: Angespannte Lage im AKW Saporischschja

Mit sechs Reaktoren ist das AKW im umkämpften Gebiet Saporischschja das größte in Europa. Die russischen Truppen haben die Nuklearanlage in der Stadt Enerhodar bereits kurz nach Kriegsbeginn im März vergangenen Jahres besetzt. Seit September 2022 sind die Reaktoren heruntergefahren. Die Kriegsparteien werfen sich gegenseitig immer wieder den Beschuss der Anlage vor. Experten warnen vor einem möglichen Kontrollverlust und einer drohenden nuklearen Katastrophe.

Im Zuge der Großoffensive hat die Ukraine im Gebiet Saporischschja ihre militärischen Aktivitäten massiv ausgeweitet. Auch das AKW soll befreit werden. Die Frontlinie verläuft etwa 50 Kilometer östlich der Kraftwerksstadt Enerhodar. Russen und Ukrainer lieferten sich in AKW-Nähe mehrfach Artillerieduelle über den Fluss Dnipro. Dabei gab es auch Einschläge auf dem Kraftwerksgelände.

Kreml warnt vor nuklearer Katastrophe: Ukraine plane Terroranschlagam AKW in Saporischschja

Obwohl die Lage am AKW in Saporischschja seit Monaten äußert angespannt ist, erreicht die Kreml-Drohung eine neue Eskalationsstufe. Renat Kartschaa, Berater beim russischen AKW-Betreiber Rosenergoatom, behauptet, dass Kiew einen Terroranschlag plane, um die internationale Aufmerksamkeit für den Krieg zu erhöhen. Kiew wolle unter dem Vorwand einer atomaren Bedrohung für ganz Europa die "rechtlichen Schleusen" für einen direkten Eingriff der Nato und des Westens in den Krieg öffnen.

"Sprengung ist extrem kompliziert!" Experten halten Russen-Warnung für Drohung

Allerdings hat die Ukraine aus Sicht von Carlo Masala, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr München, nicht die Fähigkeiten, das AKW von außen zu sprengen. Eine solche "Sprengung ist extrem kompliziert", sagte er. Russland hingegen könnte mit einer Sprengung an dem von Moskaus Truppen kontrollierten AKW "Chaos stiften".Der ukrainische Generalstab schrieb in seinem täglichen Lagebericht zuletzt über angebliche Sprengkörper auf dem Dach des AKW. Doch was passiert, wenn Wladimir Putin seine Drohungen in die Tat umsetzt und das Kernkraftwerk wirklich in die Luft jagt?

Wie groß ist die Gefahr, die von dem Atomkraftwerk in Saporischschja ausgeht?

Durch die Zerstörung des Kachowka-Staudamms ist auch die Versorgung des Kraftwerks mit Wasser beeinträchtigt. Der Versorgungskanal kann dem Kühlteich kein Wasser mehr zuführen. Laut der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) geht der Wasserspiegel des Teichs derzeit täglich etwa um einen Zentimeter zurück. Der Wasserstand liege gerade bei über 16 Metern und garantiere das Funktionieren des Kühlsystems für mehrere Wochen. Nach Angaben der russischen Kraftwerksverwaltung nach befinden sich vier Blöcke in "Kaltbetrieb" und ein weiterer in Abschaltung zur Reparatur. Block fünf hingegen sei weiterhin in "Warmabschaltung" und benötigt daher stärkere Kühlmaßnahmen. Der ukrainische Betreiber Enerhoatom hatte eine "Kaltabschaltung" angeordnet, da ein bisher wenig wahrscheinlicher kompletter Ausfall des Kühlsystems zu einem Atomunfall führen könnte.

Die Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart sind durch eine dicke Stahlbetonschicht geschützt. Damit sollen sie sowohl den Absturz von kleinen Flugzeugen als auch Explosionen im Inneren überstehen können. Damit wäre auch eine ernsthafte Beschädigung durch Sprengsätze oder Artilleriebeschuss nur schwer möglich. Durch Beschuss gefährdet ist jedoch das unweit der Reaktoren befindliche Atommüllzwischenlager. Über 170 Behälter aus Beton stehen unter freiem Himmel und würden einem Artillerieangriff kaum standhalten. Radioaktivität könnte bei einem Treffer eines Behälters freigesetzt werden. Die Folgen wären dabei jedoch örtlich begrenzt.

"Aus Erfahrung wissen wir von realen russischen Kriegsverbrechen und Provokationen, die den Ukrainern in die Schuhe geschoben wurden und müssen also mit einem signifikanten Risiko rechnen, dass es sich auch heute so verhält", schreibt Atom-Expertin Vero Wendland auf Twitter. "Wir wissen aber auch von krasser russischer Rücksichtslosigkeit gegenüber den eigenen Leuten. Wir wissen auch: Ein wankender Putin ist in der Lage, Zigtausende zu opfern, um seine Haut & Macht zu retten." Die Expertin hält jedoch eine Zerstörung von Reaktorgebäuden für "eher unwahrscheinlich". "Sehr viel wahrscheinlicher scheint aber eine Zerstörung & Unbrauchbarmachung der Turbosätze in den Maschinenhäusern durch die Russen." Auch hält sie eine "russische Provokation" für denkbar. "Irgendeine Feuerzauber-Aktion mit den - wenn's stimmt - präparierten Dächern, vllt auch mit messbarem, aber nicht wirklich relevanten radioaktiven Material, um dem Gegner 'schmutzige Bombe' unterzuschieben", schreibt Wendland. Auch die US-Denkfabrik "Institute for the Study of War" (ISW) hält eine "begrenzte russische Sabotage" am AKW in Saporischschja, die zu "einem massiven radiologischen Zwischenfall" führt, für "unwahrscheinlich". Doch was passiert, wenn das AKW Saporischschja dennoch beschädigt wird?

Wie würde die Nato bei einem Angriff auf das AKW reagieren?

"Auswirkungen auf die Front hat ein solch herbeigeführter Schaden sofort, denn in diesem Gebiet werden die Kämpfe eingestellt", erklärt Politikwissenschaftler Thomas Jäger gegenüber der "Bild". "Wie die Nato reagiert, ist nicht offengelegt." US-Senator Graham habe jedoch kürzlich gefordert, einen Angriff auf das AKW in Saporischschja als Angriff auf die Nato zu werten. "Es kann davon ausgegangen werden, dass Bidens Warnungen an Russland, man werde bei einem nuklearen Einsatz scharf reagieren, auch das damals schon von Russland besetzte AKW eingeschlossen hat", sagt Jäger weiter. "Eine automatische Reaktion der Nato wird es meine Einschätzung nach nicht geben. Da sich Russland und die Ukraine sicherlich gegenseitig die Schuld zuweisen würden, wäre eine Untersuchung notwendig, die Aktion und Reaktion zeitlich trennt."

Angst vor einer Atomunfall in Saporischschja: Bereitet sich Deutschland auf eine Katastrophe vor?

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) beobachte die Lage am AKW Saporischschja seit Kriegsbeginn intensiv, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Nach Einschätzung des BfS stellen die Kampfhandlungen, die Stromversorgung und die Arbeitsbedingungen der Angestellten die größten Risikofaktoren dar. Zudem müsse alles dafür getan werden, die Kühlung sicherheitsrelevanter Systeme des AKW zu gewährleisten. Sollte es in der Ukraine zu einer Freisetzung von Radioaktivität kommen, wären die Folgen vor Ort womöglich erheblich, hieß es seitens des BfS. "Für Deutschland wären die radiologischen Auswirkungen einer Freisetzung in der Ukraine begrenzt." In Erinnerung ist in Deutschland auch noch die Katastrophe im AKW Tschernobyl nördlich von Kiew, wo 1986 noch zu Sowjetzeiten ein Reaktor explodiert war und den größten radioaktiven Unfall in der Geschichte der zivilen Nutzung der Nuklearenergie ausgelöst hatte.

Bereits in der Vergangenheit habe sich das BfS mit der Frage beschäftigt, welche Auswirkungen bei Freisetzung von Radioaktivität in ukrainischen Kernkraftwerken auf Deutschland zu erwarten wären. Dazu wurde den Angaben zufolge untersucht, wie sich Radioaktivität verbreiten würde. Demnach bewegten sich über ein Jahr hinweg in der Vergangenheit nur in etwa 17 Prozent der Fälle die Luftmassen aus der Ukraine nach Deutschland. 

Aufgrund der großen Entfernung zwischen der Ukraine und Deutschland würde es nach einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen aus einem Kernkraftwerk in der Ukraine in den meisten Wetterlagen mindestens ein bis zwei Tage dauern, bis radioaktiv kontaminierte Luft nach Deutschland gelangen würde. Im schlimmsten Fall könnten auch in Deutschland in der Landwirtschaft festgelegte Werte für Nahrungsmittel überschritten werden. Dann würde eine Kontrolle von Futter- und Nahrungsmitteln erforderlich werden, gegebenenfalls auch eine Vermarktungssperre für kontaminierte Produkte. Nach Berechnungen des BfS ist nicht zu erwarten, dass weitergehende Maßnahmen wie Evakuierung, Aufenthalt in Gebäuden oder die Einnahme von Jodtabletten zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland notwendig würden.

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/gom/news.de/dpa

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