Von news.de-Redakteurin Isabelle Wiedemeier - Uhr

Porno als Kunst: Treffen sich Sechs zum Sex...

Maike Brochhaus will dem Sex auf die Schliche kommen. Was passiert, wenn sechs schöne Menschen vor der Kamera Flaschendrehen spielen und alles ist erlaubt? Ihr Filmprojekt Häppchenweise bezeichnet sie als Postporno - es soll diese Frage beantworten.

Sie nennt es Porno. Eigentlich aber will Maike Brochhaus unter ihrer Regie die Klischees von Porno zerfallen sehen. Die rasierten Geschlechtsteile, die Hetero-Normativität des Rein-Raus, die geballte Potenz – die Vorstellung von Sex als Leistungsshow, wie sie im Mainstream-Porno zelebriert wird, ist genau das Bild, das die Kölner Künstlerin brechen will.

«Es ist eine andere Art von Sex, die man sonst nicht sieht», sagt eine junge Frau, die vor einer fröhlich-grünen Wand auf der Anrichte ihrer Ikea-Küche hockt. Alice, 27, wirkt locker und sympathisch, sie ist eine der Protagonstinnen, die im Trailer Brochhaus' Projekt Häppchenweise vorstellen. Ihre sexuelle Orientierung verortet Alice zwischen zwei und drei auf der Kinsey-Skala, also «überwiegend heterosexuell, aber mehr als gelegentlich homosexuell» bis «gleichermaßen heterosexuell wie homosexuell». Da ist einiges möglich.

Diese «Pornostars» wie Alice sind attraktive junge Leute, natürliche junge Leute, Studenten vielleicht. Ja, sie sind jung, aber sie brauchen nicht das Geld, sondern sie haben Lust. Lust, sich fallen zu lassen, ohne zu wissen, wohin es führt. Das ist der Reiz und dem wollen sie sich aussetzen.

Porno ohne Geld

Nur, dass es mit Sex zu tun hat, ist schon klar: «Ein Abend, sechs Körper, wie weit würdest du gehen?» So lautet das unmissverständliche Motto, das Maike Brochhaus ausgeschrieben hat für ihre erste Filmregie, die eigentlich ein Experiment ist. Denn es gibt kein Drehbuch. Sie selbst würde mitmachen, keine Frage, wäre sie nicht diejenige, die sich die Fragen für das Flaschendrehen ausgedacht hat und die über ein Headset den Kameraleuten sagt, was sie filmen sollen.

«Alles ist möglich», sagt der smarte Typ, dessen Riegel auf der Oberlippe ruhig als ironische Anspielung auf den Mainstream-Porno verstanden werden kann. Geld bekommen Simon, 31, und die anderen nicht dafür, dass sie sich bloßstellen, das ganze Team arbeitet umsonst, niemand will sich bereichern. Porno außerhalb der kapitalistischen Maschinerie, das ist der ideelle Teil des Settings. Schließlich ist Maike Brochhaus Dozentin für Kunstwissenschaft und schreibt gerade auch an ihrer Doktorarbeit über den Pornokünstler Bruce La Bruce.

Die Idee ist so simpel wie die menschlichen Grundbedürfnisse. Sechs attraktive junge Leute treffen sich, essen gemeinsam zu Abend, trinken und spielen Flaschendrehen. Dabei werden sie gefilmt. «Ich habe einen biologischen Ansatz vom Menschen», sagt Maike Brochhaus. «Was bleibt, wenn man alles runterdampft, Glauben und Moral weglässt?» Essen, Trinken und Sex. Die Grundbedürfnisse sind uns einprogrammiert, doch an ihre Essenz kommen wir kaum heran.

Wie schrieb Michel Foucault in Sexualität und Wahrheit? «Möglicherweise reden wir mehr vom Sex als von jeder anderen Sache. (...) Wir glauben, dass uns das Wesentliche dauernd entgeht und
wir darum stets aufs Neue seine Spur aufnehmen müssen.»

Ob aus der Gesprächsrunde ein Porno wird?

Um diesem Grundbedürfnis Sex auf die Spur zu kommen, hat Brochhaus sich «Häppchenweise» ausgedacht. Protagonisten zu finden, die sich von dem Aufruf: «Wenn du dich und deinen Körper magst, zwischen 20 und 35 bist und dich mit der kleinen Philosophie, die hinter unserem Filmprojekt steckt identifizieren kannst, dann mach mit!» locken ließen, war gar nicht so schwer. Die Regisseurin hatte die Wahl. Ausgesucht hat sie die Sechs, die ihr selbst gefallen und die schon in der E-Mail zeigten, dass sie genug Selbstreflexion mitbringen, um sich Sex so zu nähern, wie Maike Brochhaus es sich vorstellt.

Denn warum eigentlich Porno? Ob sich das Essen zur sexuellen Orgie entwickelt, ob Maike Brochhaus ihre Kameraleute wirklich draufhalten lässt auf die Geschlechtsteile an diesem Abend im August, wenn die Flasche dreht, ob aus der Gesprächsrunde ein Porno wird, weiß ja noch niemand. Aber dass ihr Projekt porno ist, oder genauer gesagt als Postporno den Mainstream-Porno hinter sich lassen will, ist für die Künstlerin vor allem ein Statement für die Kunstfreiheit.

«Porno ist, wertfrei gesehen, nichts Obszönes, sondern einfach ein expliziter Darstellungsmodus. Er kann sowohl in der Kunst, als auch im Spielfilm, als auch in der Pornoindustrie eingesetzt werden», erklärt die Kunstwissenschaftlerin. Und explizit, offen und ungeschminkt soll Häppchenweise sein. «Es kann durchaus auch ein interessanter Film werden, wenn es nicht zum Sex kommt», sagt Brochhaus.

Häppchenweise ist ein Experiment bei laufender Kamera. Wer keine Lust mehr hat, darf gehen. Was die Sechs erleben an diesem Abend im August, können wir vermutlich im November erfahren. Dann soll der Film fertig sein. Ob kurz, ob lang, mal sehen. Bis dahin Guten Appetit.

jag/news.de