Erstellt von Farid Kjazimi - Uhr

Unfall auf der Autobahn 6 bei Nürnberg: "Wollen Sie den Toten sehen?" Polizist nimmt sich Gaffer zur Brust und wird Medienstar

Bei einem Unfall auf der A6 nahe Nürnberg kam ein LKW-Fahrer ums Leben. Als wäre das nicht schon tragisch genug, behinderten Gaffer auch noch den Verkehr. Einem Polizist platzt der Kragen.

Symbolbild - Eine Sichtschutzplane mit dem Piktogramm "fotografieren verboten" (Foto) Suche
Symbolbild - Eine Sichtschutzplane mit dem Piktogramm "fotografieren verboten" Bild: Klaus-DietmarGabbert/dpa

Bei einem Auffahrunfall auf der A6 in Höhe von Nürnberg kam ein 37-jähriger Lkw-Fahrer ums Leben. Zahlreiche Gaffer behinderten kurz nach dem tödlichen Unfall auf der Gegenfahrbahn den Verkehr, um mit Smartphones und sogar Tablets das Gesehene zu dokumentieren. Die Folge dieses pietätlosen Verhaltens: Einüber acht Kilometer langer Stau.

8 Kilometer Stau auf der A6: Gaffer filmen mit Handys und Tablets

Der beherzte Verkehrspolizist des kleinen Städtchens Feucht, Stefan Pfeiffer, versuchte daraufhin das Filmen zu beenden, indem er den Gaffern anbot sich die Leiche anzuschauen. "Nimmst du endlich dein Handy aus der Hand, sonst komme ich rüber und hol dich raus! Haben wir uns verstanden? Wer glaubst du denn, wer du bist?!", schreit er einem LKW-Fahrer auf der Gegenfahrbahn entgegen.

Nachdem die linke Fahrbahn in Fahrtrichtung des Unfalls wieder freigegeben wurde, filmten auch hier Autofahrer mit ihren Handys. Der Ordnungshüter sah sich nun gezwungen härter durchzugreifen. "Kannst gerne aussteigen und die Leiche anschauen. Wollen Sie das?", fragte er eine Frau, die diesem Angebot nicht folgen wollte. Pfeiffer: "Dann verschwinden Sie und zwar schnell!"

Gaffer empören Polizisten: "Wollen Sie den Toten sehen? Für Fotos? Kommen Sie mit"

Der Fahrer eines weißen Transporters musste sogar aussteigen. Pfeiffer fragte auf Englisch: "Wo kommen Sie her? Steigen Sie aus und ich zeige Ihnen was. Wollen Sie den Toten sehen? Für Fotos? Kommen Sie mit. Da liegt er, wollen Sie ihn sehen?" Nach dem der Fahrer einen kurzen Blick auf die Unfallstelle warft und dann doch betreten verneint, antwortet Pfeifer: "Wollen Sie nicht? Warum machen Sie dann Fotos? Das kostet Sie 128 Euro, dass Sie das hier fotografieren. Schämen Sie sich!"

Ein Bußgeld in Höhe von 128 Euro mussten die Gaffer neben einem Punkt in Flensburg dann auch in Kauf nehmen. Den effektivsten Effekt wird aber sicherlich eher die unmittelbare Konfrontation mit dem Tod gewesen sein.

"Es ist erschreckend, wie wenig Empfinden die Leute haben"

Diese ungewohnte Art eines Verkehrspolizisten um Gaffer zu sensibilisieren erklärt Stefan Pfeiffer mit den Worten: "Es ist erschreckend, wie wenig Empfinden die Leute haben. Wir hatten einige, denen wir gesagt haben, wenn sie wollen, dann können sie herangehen. Und das wollten sie nicht. Man merkt, dass den Leuten dann bewusst wird, wie tragisch das Ereignis ist und dass das kein Spaß ist."

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Das ist der Polizist, der Gaffer anbrüllte

Das Video machte bundesweit Schlagzeilen: Nach einem tödlichen Lkw-Unfall bei Nürnberg platzt dem Polizisten Stefan Pfeiffer der Kragen. "Da liegt er, wollen Sie ihn sehen?", ruft er einem Gaffer zu. "Schämen Sie sich!" Einem anderen bietet er an, sich die Leiche anzuschauen. Bei dem Unfall war ein 47-Jähriger gestorben, der mit seinem Sattelzug auf einen Lastwagen aufgefahren war.

Rund eine Woche danach steht Pfeiffer in München in einem Konferenzraum der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), deren Mitglied er ist, und nimmt verlegen die Auszeichnung eines Radiosenders entgegen. Dann müsse es irgendwann aber auch gut sein mit dem Hype um seine Person. Es gehe schließlich um die Sache.

Pfeiffer ist 54 Jahre alt, seit 35 Jahren Polizist, inzwischen Leiter der Verkehrspolizei Feucht. 110 Verkehrstote hat er gesehen. "Ich war schon daneben gestanden, als drei tote Kinder aus einem Auto herausgezogen wurden. Das will ich nicht mehr erleben."

Polizist Stefan Pfeiffer: "Gaffer sind eine Gefahr"

Umso mehr schockiert es ihn, wenn diese Schicksalsschläge für vorbeifahrende Autofahrer Unterhaltung sind. Wenn sie ihre Handys zücken, die Toten und Verletzten filmen und die Helfer, die versuchen, Leben zu retten. Die Polizeigewerkschaft nennt diese Leute heute ganz bewusst nicht mehr Schaulustige - sondern Gaffer.

Es müsse doch klar sein, dass man nicht gefilmt werden will, wenn man gerade Opfer eines Unfalls geworden ist, sagt Pfeiffer - und auch nicht, wenn man als Notarzt oder Feuerwehrmann einer belastenden Ausnahmesituation ausgesetzt ist. Gaffer seien eine Gefahr. "Macht Euch klar: Das ist kein Spiel da draußen. Das ist bittere Realität."

Polizist Stefan Pfeiffer wurde durch Gaffer-Rüffel zum Medienstar

Er hätte sich zwar selbst im Fernsehen lieber anders gesehen. "Aber wenn ich nicht geschrien hätte, hätte er es nicht verstanden." Er sei etwas erleichtert gewesen, als Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sich positiv über das kursierende Video äußerte. "Das Verhalten vieler Gaffer ist unverschämt und unverantwortlich", hatte Herrmann auf Facebook geschrieben. "Ich freue mich, dass der Polizeikollege das einigen Gaffern auch mal emotional nahegebracht hat."

Die Reaktion ist laut Pfeiffer immer die gleiche. Wenn die Leute den Spiegel vorgehalten bekämen, wenn man sie "aus ihren Schutzräumen Auto oder Lkw rausholt", seien sie meist peinlich berührt. "Wir haben noch niemanden erlebt, dem das nicht hochgradig unangenehm war."

Polizeigewerkschaft fordert härteres Durchgreifen gegen Gaffer

Die DPolG will Pfeiffers unverhofften Ruhm nun nutzen, um ihren Forderungen nach einem härterem Vorgehen gegen Gaffer Nachdruck zu verleihen. Das Handy als "Tatwerkzeug" solle Autofahrern weggenommen werden, die schwere Unfälle filmen oder fotografieren. "Das würde einen nachhaltigen Eindruck auf die Täter und potenzielle Nachahmer haben", sagt der bayerische Landesvorsitzende Rainer Nachtigall.

Außerdem müsse das Fotografieren von Toten unter Strafe gestellt werden. Bislang könne laut Paragraf 201a des Strafgesetzbuches nur das Ablichten von lebenden Unfallopfern bestraft werden. Es sei aber wichtig, "dass auch Verstorbene geschützt werden". Ein Gesetzentwurf, der 2018 in den Bundesrat eingebracht wurde, müsse umgesetzt werden.

Die Diskussion zu versachlichen sei sein Ziel, betont Pfeiffer. Einen "Personenkult" um ihn solle es nicht geben. DPolG-Pressereferent Markus Haiß fügt scherzhaft hinzu, man solle Pfeiffer "nicht zur Greta Thunberg des Kampfes gegen Gaffer" machen.

kjf/bua/news.de/dpa

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