Von news.de-Redakteurin Fabienne Rzitki - Uhr

Erythrophobie: Alarmstufe Rot

Vor anderen Menschen zu sprechen oder gar jemandem Kontra zu geben - für Erythrophobiker undenkbar. Der Grund: Sie haben Angst davor, rot anzulaufen. Ist die Angst so stark, kann sie zur sozialen Isolation führen. News.de weiß, was dagegen hilft.

Vor allem schüchterne Menschen mit geringen Selbstbewusstsein haben Angst vor dem Erröten. (Foto) Suche
Vor allem schüchterne Menschen mit geringen Selbstbewusstsein haben Angst vor dem Erröten. Bild: istockphoto

Irina ist 25 Jahre alt und bekommt einen hochroten Kopf, wenn sie vor anderen Menschen sprechen muss. Allein der Gedanke daran treibt ihr die roten Flecken ins Gesicht. Die Junge Frau leidet an Erythrophobie, der Angst vor dem Erröten.

Es begann im Alter von 13 Jahren. Da bekam Irina das erste Mal vor versammelter Klasse einen knallroten Kopf, als sie ein Gedicht vorlesen musste. Einige Mitschüler hänselten sie daraufhin. Immer häufiger wurde sie rot - auch bei Anlässen, wo sie nicht vor versammelter Mannschaft stehen und sprechen musste. Seitdem kapselt sich die junge Frau immer mehr ab. Sie meidet jegliche Situationen, in denen sie mit Menschen sprechen muss. Das geht soweit, dass Irina sich krankschreiben lässt, wenn sie an der Uni ein Referat halten muss.

Wie entsteht die Angst vor dem Erröten?

Die Erythrophobie beginnt schleichend, meist in der Kindheit. Sie entsteht in Bereichen, in denen soziale Begegnungen stattfinden - wie in der Schule. Anfangs gibt es ein unangenehmes Erlebnis, bei dem sich der Betroffene schämt und rot anläuft - wie bei Irina. «Wird das Gefühl der Peinlichkeit dann durch die Mitschüler geschürt, legt das den Grundstein», sagt Diplompsychologe Peter Groß aus Köln. Spott und Hänseleien wie «Na, du Rotkäppchen» machen das Problem bewusst. Dadurch gerät der Betroffene in eine Erwartungsangst - die Angst vor der Angst. Es folgt das sogenannte Vermeidungsverhalten. Wer beginnt, angstauslösende Situationen zu vermeiden, sich und seinen Körper intensiv zu beobachten, gerät in einen Kreislauf der Angst.

«Jede Situation, die mit Scham und Peinlichkeit zu tun hat, treibt einem Erythrophobiker die Röte ins Gesicht», sagt Peter Groß. Das passiert bei öffentlichen Auftritten, im Restaurant oder einfach nur, wenn Menschen anwesend sind. Auch ein bloßer Gedanke daran führt zu einem knallroten Kopf.

Wer ist betroffen?

«Vor allem unsichere Menschen, mit einem sehr geringem Selbstwertgefühl leiden an der Phobie», weiß der Experte. Sie haben Angst, etwas Falsches zu sagen und sich zu blamieren. «Sie sind sehr kritische Selbstbeobachter, die über ihre Schwächen bestens Bescheid wissen. Meist denken sie auch, alle anderen seien schlauer», erklärt der Psychologe. Das Schlimme: Die dauernde Angst vor Ablehnung und Blamage macht viele Phobiker über Jahre nahezu mundtot. Wie Irina flüchten sie in eine soziale Isolation.

Was im Körper passiert

Durch die Angst wird der Körper in Alarmbereitschaft versetzt. Zuerst erweitern sich die Gefäße, dann verengen sich die blutabführenden Gefäße, was den Abfluss des Blutes für einen Moment hemmt. Gleichzeitig verkrampfen die Betroffenen, da die Muskulatur angespannt wird. Das Erröten treibt den Phobikern den Schweiß auf die Stirn. Den Betroffenen wird heiß, sie atmen schneller. «Das Gefühl, dass einem heiß wird, ist sehr subjektiv. Der Unterschied zwischen normaler Hauttemperatur und dem ‹erhitzten› Zustand beträgt gerade einmal ein knappes Grad», sagt Peter Groß. Wer die Reaktion unterdrücken will, gerät in einen Teufelskreis - das Ganze verstärkt sich. Das kann zu Zittern und Herzrasen führen. Dem Experten zufolge wird man innerhalb von etwa 15 Sekunden rot. Kleiner Trost: Nach weniger als einer Minute ist der Spuk schon wieder vorbei. «Das gilt allerdings nur, falls das Ganze nicht wieder erneut durch ängstliche Selbstbeobachtung in Gang gesetzt wird», warnt Groß.

Was tun?

Der Kreislauf der Angst muss durchbrochen werden. Groß rät den Betroffenen daher, angsteinflösende Situationen deswegen nicht zu vermeiden. «Ich empfehle den Leuten, offen damit umzugehen, die Flucht nach vorne anzutreten. Das Erröten wird subjektiv immer viel schlimmer erlebt, als es andere empfinden», so der Psychologe. Die Phobiker müssen die Erfahrung machen, dass Erröten nichts Dramatisches ist.

Rollenspiele können dabei helfen. Der Phobiker lernt etwa, wie er mit Bemerkungen zum Erröten umgeht. Groß rät, auch andere um Rücksichtnahme zu bitten. Wer einen Vortrag halten oder im Meeting eine Präsentation vorstellen muss, kann seiner Angst mit Humor begegnen. Wer über sich selbst scherzt, nimmt anderen den Wind aus den Segeln und erntet Sympathiepunkte.

Zudem kann ein sogenanntes Progressive Muskelentspannung, Atemtechniken und Meditation. Ist die Angst allerdings so groß, dass sie das Leben der Betroffenen massiv beeinflusst, empfiehlt Groß eine Psychotherapie. «Denn dann geht es in erster Linie um das Selbstwertgefühl. Auch Medikamente helfen da nicht», sagt der Psychologe. Antidepressiva sind Groß zufolge generell nur in bestimmten Situationen und für kurze Zeit sinnvoll. «Dauerhaft kann ich sie nicht empfehlen.»

Irina hat nun endlich Mut gefasst und will sich ihrer Angst stellen. Zunächst möchte sie an einem Achtsamkeitstraining teilnehmen und verschiedene Entspannungstechniken erlernen. Denn nur, wenn sie ihre Angst beherrscht, weiß sie, schafft sie auch ihr Studium.

sca/eia/news.de

Bleiben Sie dran!

Wollen Sie wissen, wie das Thema weitergeht? Wir informieren Sie gerne.